Die Diplomausstelung thematisiert Kindheit, Schutz, Identität und Vergänglichkeit. Verblasste Erinnerungen vermischen sich mit Fantasien. In Arbeiten, die von einer Neuauffassung eines apokalyptischen Reiters, bis hin zu filmischen Kindheitsreflexionen reichen, lädt die Ausstellung Besucher:innen ein unter anderem über Nähe, Machtverhältnisse und die Ambivalenz von Nostalgie nachzudenken.
The diploma exhibition thematises childhood, protection, identity and transience. Faded memories mingle with fantasies. In works ranging from a re-imagining of an apocalyptic horseman to cinematic reflections on childhood, the exhibition invites visitors to reflect on proximity, power relations and the ambivalence of nostalgia.
Gezügelter Reiter (2023)
Der gezügelte Reiter ist eine Anlehnung an die biblischen vier Reiter, die die Apokalypse einleiten sollen. Er beschäftigt sich damit, welche Vorzeichen eine eigene, persönliche Apokalypse einleiten. Also welche individuellen Anzeichen es dafür gibt, dass man auf ein emotionales Tief zusteuert.
Die Arbeit verkörpert einen Schutzmechanismus, den ich, wie viele andere, in meiner Kindheit entwickelt habe. Damals hatte das Ausdrücken von Gedanken und Gefühlen entweder zur Folge, Wutausbrüche über sich ergehen lassen zu müssen oder sich ungehört zu fühlen. Daraus resultierte das Zurückhalten ehrlicher Aussagen aus Angst vor Konflikten und Konfrontation. Diese Erfahrungen haben mich stark geprägt und der Schutzmechanismus manifestiert sich zunehmend, je schlechter es mir geht. Der Reiter sitzt auf einem Pferd, dessen Körper wie im kindlichen Spiel aus Decken und Personen improvisiert ist. Es steht im Wald meiner Kindheit, der vor Trockenheit und Abholzung langsam zerbricht. Von der Maske hängen Stoffbänder, auf denen unausgesprochene Sätze und Wünsche geschrieben sind. Heute sind es Geheimnisse, die ich aus Angst vor Verurteilung und oder Ablehnung noch immer mit mir trage.
100 x 70cm
120 Film schwarz-weiß Foto
Pigment Print Laserdruck / Lasurfarben
Tamed Horseman (2023)
The Rider is a reference to the biblical Four Horsemen, who are meant to herald the apocalypse. It explores the signs that precede a personal, individual apocalypse—what indicators suggest that one is heading toward an emotional low.
This work embodies a defense mechanism I developed, like many others, in my childhood. Back then, expressing thoughts and feelings often led to enduring outbursts of anger or feeling unheard. As a result, I began holding back honest statements out of fear of conflict and confrontation. These experiences shaped me deeply, and this defense mechanism intensifies the worse I feel.
The rider sits on a horse, its body improvised like in a child's game, made of blankets and people. It stands in the forest of my childhood, which is slowly being destroyed by drought and deforestation. Fabric strips hang from the mask, inscribed with unspoken sentences and wishes. Today, these are secrets I still carry out of fear of judgment or rejection.
100 x 70cm
120 Film black and white Photo
Pigment Print Laser Print / Laser Inks
Meine kindlichen Wälder (2023)
Die Arbeit Meine kindlichen Wälder öffnet einen Raum, in dem sich verblasste Erinnerungen mit Fantasien von Kindheit vermengen. Die Motive stellen den Moment dar, an dem das Bewusstsein für die Vergangenheit ein nostalgisches Spiel der Vorstellungskraft trifft. Ich merke, wie meine eigenen Erinnerungen mit der Zeit durch die Sehnsucht nach einer anderen, idealisierten Kindheit verfälscht werden. Diese fantasierte Realität, die oftmals so greifbar und real scheint, inszeniere ich in den Fotografien. Der Wald, an dem ich aufgewachsen bin, bietet dafür die Bühne. Das tapezierte, handkolorierte Hauptmotiv zeigt eine Frau, die ihrem kindlichen Selbst die Hand entgegenstreckt. Das Kind verbindet somit Vergangenheit und Gegenwart. Die drei kleineren Bilder Ergänzen das Hauptmotiv
durch weitere Einblicke in diese Kindheitsfantasie. Die Fingerpuppen aus toten Insekten und das Fadenspiel stehen für fehlende Spielpartner:innen und Freundschaften. Das dritte Bild zeigt ein im Wald schwebendes Kleid, das eine Erinnerung an die verstorbene Großmutter verkörpert. Es wurde durch ihr Ableben ein Artefakt der Vergänglichkeit und des Verlustes. Die Arbeit setzt sich mit der Fragilität von Kindheit, dem Überschreiben ungewollter Erinnerungen und dem Erleben von Realität auseinander.
350 x 195cm
120 Film schwarz-weiß Foto
Pigment Print Laserdruck / Wasserfarben
30 x 30cm
120 Film schwarz-weiß Foto
Pigment Print Laserdruck / Lasurfarben
My Childish Woods (2023)
The work opens a space where faded memories blend with fantasies of childhood. The motifs represent the moment when awareness of the past meets a nostalgic play of imagination. I realize how my own memories become distorted over time by a longing for another, idealized childhood. This fantasized reality, which often feels so tangible and real, is staged in the photographs. The forest where I grew up provides the backdrop.
The main motif, which is wallpapered and hand-colored, depicts a woman reaching out her hand to her childlike self. The child thus connects the past and the present. The three smaller images complement the main motif with further insights into this childhood fantasy. The finger puppets made from dead insects and the thread game symbolize absent playmates and friendships. The third image shows a dress floating in the forest, embodying a memory of my late grandmother. Her passing turned it into an artifact of transience and loss.
The work engages with the fragility of childhood, the rewriting of unwanted memories, and the experience of reality.
350 x 195cm
120 Film black and white Photo
Pigment Print Laser Print / Watercolour
30 x 30cm
120 film black and white photo
Pigment Print Laser Print / Watercolours
Bitte schau durch meine Augen (2023)
Sobald Sie die VR-Brille aufsetzen öffnet sich vor Ihnen ein virtueller Raum. Es läuft ein Video, in dem sich ein geschlechtsloses Wesen durch eine bewaldete Schneise wie ein wildes Tier entlang tastet. Um dem Körper mit dem Blick folgen zu können, müssen Sie ihren Kopf mitbewegen. Welche Position nehmen Sie
beim Betrachten ein? Während Sie in der Mitte des Erdkreises sitzen und die Brille aufhaben, werden Sie für den Moment Teil der Arbeit. Sie sind nicht nur Betrachter:in sondern auch betrachtetes Objekt. In der virtuellen Realität
haben Sie für den Moment vollkommene Kontrolle, während Sie in der realen Welt dafür Kontrolle abgeben müssen. Sie wissen nicht, wie viele Personen außer Ihnen im Raum sind. Werden Sie angeschaut? Von wem werden Sie angeschaut? In der Arbeit werden Fragen nach Nähe und Distanz, Identität und Beobachtung aufgeworfen. Es geht um Positionen, Macht- und Rollenverhältnisse, sowohl in der realen als auch der medialen Welt.
Video (7:54min)
Virtuellereality Brille
Holzhocker / Erde aus dem Wald / Ton / Akrylfarbe
80 x 45 cm
Pigment Print Laserdruck
Please look through my eyes (2023)
As soon as you put on the VR glasses, a virtual room opens up in front of you. A video plays in which a sexless being gropes its way through a wooded aisle like a wild animal. In order to follow the body with your gaze, you have to move your head along with it. What position do you
when you look at it? While you sit in the middle of the circle of the earth with your glasses on, you become part of the work for the moment. You are not only the viewer:in but also the object being viewed. In virtual reality
you have complete control for the moment, whereas in the real world you have to give up control. You don't know how many people are in the room besides you. Are you being looked at? By whom are you being looked at? The work raises questions about proximity and distance, identity and observation. It is about positions, power and role relations, both in the real and the media world.
Video (7:54min)
Virtual reality glasses
Wooden stool / earth from the forest / clay / acrylic paint
80 x 45 cm
Pigment Print Laser Print
Verblühte Schüsse und der Wald (2023)
Verblühte Schüsse und der Wald ist eine analoge Fotoserie, bestehend aus einer Abfolge von sechzehn Bildern. Sie dokumentieren einen inneren und äußeren Kampf, dargestellt durch den nackten Körper im Sturm und in der Kälte. Oft werden Frauen, Mädchen und andere weiblich gelesene Personen mit nach innen gerichteten Emotionen in Verbindung gebracht. Ihnen wird suggeriert, ihre Gefühle mit sich selbst verhandeln zu müssen, damit sie es ihrem (männlichen) Umfeld möglichst bequem machen, mit ihnen umzugehen. Die Serie behandelt den Frust, der aus dieser Situation entsteht. Es geht darum, „genug“ davon zu haben, alles stillschweigend ertragen zu müssen. Es geht um den daraus resultierenden Kampfgeist, den Willen zur Veränderung und den Wunsch, als gleichberechtigt und respektiert behandelt zu werden. Trotz aller Hindernisse der Umgebung, des Schnees, des tobenden Windes und der Kälte auf der Haut brennt die Flamme in dem Strauß trockener Büsche und Blumen, die sonst eine liebliche Weiblichkeit symbolisieren. In einem ständigen Zustand des Wandels zeigt die Abfolge eine wunderschöne, ruhende Frau, rohe, ungestellte Schmerzen oder eine triumphierende Kämpferin, inszeniert wie ein heroisches Epos.
Verblühte Schüsse und der Wald (2023)
15 x 10cm
35mm schwarz-weiß Foto
Pigment Print Laserdruck
Flowering Shots and the Forest (2023)
Withering Shots and the Forest is an analogue photo series consisting of a sequence of sixteen images. They document an inner and outer struggle, represented by the naked body in the storm and cold. Often women, girls and other femininely read people are associated with inwardly directed emotions. They are suggested to have to negotiate their feelings with themselves so that they make it as comfortable as possible for their (male) environment to deal with them. The series deals with the frustration that arises from this situation. It is about having "enough" of having to put up with everything silently. It is about the resulting fighting spirit, the will to change and the desire to be treated as equals and respected. Despite all the obstacles of the environment, the snow, the raging wind and the cold on the skin, the flame burns in the bouquet of dry bushes and flowers that otherwise symbolise a lovely femininity. In a constant state of flux, the sequence shows a beautiful woman at rest, raw, unposed pain or a triumphant fighter, staged like a heroic epic.
Withering Shots and the Forest (2023)
15 x 10cm
35mm black and white photo
Pigment Print Laser Print
Zeckensommer (2023)
Der Raum, der durch gesammelte Äste und Zweige beschränkt ist, soll an eine Holzhütte erinnern, wie sie viele Kinder, auch ich früher, zum Spielen im Wald bauen. Der Film Zeckensommer wird an die Wand projiziert. Er dokumentiert meine Rückkehr an Kindheitsorte, die ich seit teilweise zwanzig Jahren nicht mehr besucht habe. Die Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Alter prägt meine Beziehung zu dem kleinen Bergort, in dem ich groß wurde. Die Türen zu verschiedenen Orten, die mal mein Zuhause waren, sind für mich nun verschlossen. Doch neben konkreten Erinnerungen knüpfen mich Gerüche, Geräusche und emotionale Verbindungen für immer an die einzelnen Orte. Bevor ich mich zum Filmen aufmachte, wusste ich nie, ob mich im Vergleich zu früher Zerfall, Veränderung oder Stillstand erwartete. Als jemand, der schon viele
Umzüge erlebt hat, fühle ich mich mit meinen 28 Jahren manchmal sehr alt. Viele Orte meiner Kindheit sind zerfallen und existiert nur noch in mir. Ich hinterfrage nun, warum ich mir so sehr wünsche, durch Stillstand die Vergangenheit festzuhalten zu können. Ob es nicht besser wäre sie loszulassen, um weitergehen zu können und zu wachsen. Es geht darum, Vergänglichkeit anzuerkennen. Kann Nostalgie egoistisch sein, wenn man durch sie keine Veränderung zulässt?
Video (16:35)
Installation aus Holz
Tick Summer (2023)
The space, confined by gathered branches and twigs, is meant to be reminiscent of a wooden hut like many children, myself included, used to build to play in the forest. The film Tickensommer is projected on the wall. It documents my return to childhood places that I haven't visited for twenty years in some cases. The confrontation with transience and age shapes my relationship to the small mountain village where I grew up. The doors to various places that were once my home are now closed to me. But besides concrete memories, smells, sounds and emotional connections tie me forever to the individual places. Before I set out to film, I never knew whether decay, change or stagnation awaited me compared to before. As someone who has experienced many
moves, I sometimes feel very old at the age of 28. Many places of my childhood have crumbled and exist only within me. I now question why I wish so much to be able to hold on to the past by standing still. Whether it wouldn't be better to let it go in order to be able to move on and grow. It's about acknowledging transience. Can nostalgia be selfish if it doesn't allow for change?
Video (16:35)
Wooden installation